Aller Anfang ist schwer – Teil II

Aller Anfang ist schwer – Teil II

“Aller Anfang ist schwer“ Teil II

Hallo zusammen,

nachdem ich im ersten Teil von „Aller Anfang ist schwer“ davon berichtet habe, dass viele Jahre meines Lebens von Angststörung und Depressionen geprägt waren, möchte ich heute von der Kehrtwendung und der positiven Entwicklung erzählen, die ich seitdem durchlebt habe. Wir setzen an bei meinem Gamechanger im Jahr 2019.

Ich begann eine Tagesklinik zu besuchen, wo ich erstmals eine Therapie auf Augenhöhe erlebte. Nach diesem wichtigen Schritt folgte die Zeit bei einer ambulanten Therapeutin, die mir unzählige Werkzeuge und soziale Kompetenzen an die Hand gab. Nach einem Jahr war ich soweit, diese im „echten Leben“ auszuprobieren. 

Das Leben wurde zu meinem Übungsplatz. Ich lernte, “Nein” zu sagen, Menschen daran zu erinnern, mir mit Respekt zu begegnen und meine Grenzen zu respektieren. Ich lernte, nicht jedem Gedanken, der in mir in den Sinn kam, zu glauben. Das hat mich so befreit, dass immer mehr Dinge möglich wurden. Viele Jahre zuvor habe ich eine Liste mit allen Dingen die mir Angst machten erstellt. Zum Beispiel ans Telefon gehen oder reisen zu können. Irgendwann flog ich alleine zu einem Metallica-Konzert, begann alleine zu reisen und überwand Ängste, die mich jahrelang begleitet hatten. Vor ein paar Monaten habe ich diese Liste wiedergefunden und konnte mit Stolz feststellen, dass jetzt NICHTS mehr auf der Liste war, was mir Angst machte.  

Mit der Verbesserung meines Zustands kehrten auch Gedanken über meine berufliche Zukunft zurück. Im Sommer 2021 wurde ich Teil der Agentur meiner Schwester und hatte einige Auftritte. Schließlich kam der Gedanke auf: Warum nicht hauptberuflich als Sängerin durchstarten? Wer mich kennt, weiß, dass ich mich zu 100% in das stürze, was ich tue. Kompromisse gab es von nun an nicht mehr. Ich investierte in hochwertiges Equipment, nahm Gitarrenunterricht und später E-Gitarrenunterricht. Dann nahm ich Gesangsunterricht. Mit meinem jetzigen Gesangslehrer arbeitete ich nicht nur an meiner Technik, sondern vor allem an einer emotionalen Ebene der Songs.

Im letzten Blog hatte ich geschrieben, dass ich früh gelernt habe, dass Gesang zum beeindrucken da ist und das merkte mein Gesangslehrer schnell. Es folgte monatelange harte Arbeit dieses wieder zurückzukrempeln. Ich lernte mich mit den Texten auseinander zu setzten und dabei Emotionen aufkommen zu lassen. Dafür suchten wir Lieder aus, die zu meiner Geschichte passten. Die ersten Male waren meine Emotionen sehr unkontrolliert. Ich brach so oft in Tränen aus, dass ich schon Angst hatte, dass ich nie mehr „normal“ singen könnte. Dem war aber nicht so, denn bekanntlich beruhigen sich Vulkane ja nach einiger Zeit 😀 Ich lernte mit verschiedenen Techniken die Emotionen nur so stark zuzulassen, wie ich es wollte. 

Mein neues Ich stand das erste Mal bei der Musical Broadway Show 2022 auf der Bühne und die Resonanz war ÜBERWÄLTIGEND. Ich habe Menschen so berührt und begeistert, dass viele geweint habe, es gab Jubelrufe während des Liedes, was für unser entspanntes norddeutsches Publikum eher selten ist und es gab im Anschluss an meinen Song Standing Ovation. Ich selber war zu tränen gerührt. Der Titel passte so gut: „This is me“ aus dem Film „The Greatest Showman“. Ich stand zum ersten mal als Judith auf der Bühne, nicht als Kopie, nicht gehetzt von den Gedanken perfekt sein zu müssen oder den größten Applaus zu erhalten. Es war einer der schönsten Momente in meinem Leben. 

Mein Gesangslehrer brachte mir bei, dass singen heilen bedeutet. Heilung für den Zuhörer und Heilung für mich. Heute ist es meine Herausforderung mich immer wieder an diesen „emotionalen Ort“ zu begeben, um dieses erreichen zu können 

Mit meiner Selbstständigkeit muss ich nun nicht mehr auf auf ein großes Konzert warten, um diese Magie erleben zu können. Nun habe ich mir diesen Ort selber erschaffen. Ein Ort an dem ich einfach Judith Patten bin. Ein Ort an dem meine Meinung zählt, ich eigene Entscheidungen treffe, an dem ich mit Respekt behandelt werde und an dem ich gesehen werde. All DIESES GEBE ICH MIR SELBST und brauche es nicht mehr von Außen. 

Ich bin noch längst nicht am Ende dieser Reise angekommen, aber das ist schonmal ein großartiger Anfang… 

Judith

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